Akteure mittelalterlicher Außenpolitik. Das Beispiel Ostmitteleuropas

Akteure mittelalterlicher Außenpolitik. Das Beispiel Ostmitteleuropas

Organisatoren
Norbert Kersken (Herder-Institut Marburg); Stephan Flemmig (Friedrich-Schiller-Universität Jena)
Ort
Marburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.11.2014 - 15.11.2014
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Von
Marina Bessudnova, Istoričeski Fakul’tet, Lipeckij Gosudarstvennyj Pedagogičeskij Universitet

Vom 14. bis 15. November 2014 fand in Marburg eine von Norbert Kersken (Herder-Institut Marburg) und Stephan Flemmig (Friedrich-Schiller-Universität Jena) organisierte Internationale Fachtagung „Akteure mittelalterlicher Außenpolitik. Das Beispiel Ostmitteleuropas“ statt; ihr wichtigstes Ziel war es, innere Momente und den äußeren Gang des diplomatischen Verkehrs in den Ländern und Herrschaftsbildungen im östlichen Europa an der Schwelle des Mittelalters zur frühen Neuzeit einer vergleichenden Musterung zu unterziehen. Nach Marburg waren Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Polen, Tschechien, Ungarn, Litauen, der Ukraine und aus Russland zu einem ausgesprochen lebhaften und intensiven Austausch zusammengekommen.

In seinem einführenden Referat gab NORBERT KERSKEN einen strukturierten Überblick über die in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten spürbar intensivierte Erforschung mittelalterlicher Außenpolitik und spezifizierte die Befunde mit Blick auf das östliche Europa auf Fragen der Akteure der Außenpolitik sowie auf Fragen der Kontakt- und Kommunikationsformen, im einzelnen schriftliche Kommunikation und Verträge, Herrscherbegegnungen und Heiratspolitik. Dabei wurde auch das Problem der begrifflichen Kategorisierung von Außenbeziehungen als Äußerungen von Hausmachtpolitik, von dynastischer oder staatlicher Politik angesprochen. Die Marburger Diskussionen arbeiteten deutlich als Zielrichtung künftiger Forschung Funktion und Profil von dynastischen Machtträgern und Ständen sowie die Rolle von Gelehrten, Vermittlern und Beratern im Außenverkehr bzw. in Gesandtschaften, Verträgen, Herrscherbegegnungen und schriftlicher Kommunikation heraus. Die Tagungsbeiträge machten deutlich, dass vergleichbare Vorgänge und Prozesse signifikante nationale und regionale Varianten ausbildeten. In seinem Beitrag „Akteure und Mechanismen der Außenpolitik der letzten Přemysliden“ schilderte ROBERT ANTONÍN (Ostrava) kriegerische und diplomatische Aktivitäten der böhmischen Könige Přemysl Ottokars II. und Wenzels II., aber auch ihre Selbstrepräsentation als Schützer des rechten Glaubens im Kampf gegen Tataren, Kumanen und Russen als ein wichtiges Instrument für die politische Aufwertung Böhmens. Unter dem Titel „Die Außenwelt der Gediminiden: Formen und Möglichkeiten der internationalen Politik der heidnischen Großfürsten Litauens in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts“ beschäftigte sich RIMVYDAS PETRAUSKAS (Vilnius) mit einigen methodologischen, quellenkritischen und historischen Fragen der litauischen Außenpolitik in den Jahrzehnten vor der Annahme des lateinischen Christentums, unter anderem mit der dynastischen Heiratspolitik. Bei der Analyse der Beziehungen zwischen dem Herzogtum Pommern und dem Deutschen Orden in Preußen machte RAFAŁ SIMIŃSKI (Szczecin) auf die zunehmende Beteiligung der pommerschen Stände an der herzoglichen Außenpolitik aufmerksam. LENKA BOBKOVÁ (Praha) führte am Beispiel der „Verhandlungen in Trentschin und Visegrád zwischen Böhmen, Polen, dem Ordensstaat und Ungarn im Jahre 1335“ das Mittel der Herrschertreffen zur Beilegung von politisch-rechtlichen und territorialen Streitigkeiten zwischen dem Deutschen Orden und Polen sowie zwischen Polen und Böhmen vor; angesprochen wurde dabei auch die Frage der Wahl des Ortes solcher Treffen.

Über „Poland and its Eastern Neighbours at the turn of the 16th century“ referierte TETIANA GRYGORIEVA (Kyjiv); die Referentin beschrieb Mechanismen der polnischen Diplomatie an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, wodurch die polnischen Könige Kasimir IV. und Jan Olbracht versuchten, sich eine führende Stellung in der entstehenden anti-ottomanischen Koalition zu sichern und zugleich den Frieden mit den Krimherrschern zu stabilisieren. ALEXANDER BARANOV (Berlin) bot in seinem Beitrag „Zwischen Bündnis und Konfrontation. Der livländische Ordensmeister Bernd von der Borch und der Großfürst Ivan III. von Moskau 1471-1483“ neue Einblicke in die Situation an der Ostgrenze Livlands in der Regierungszeit des Ordensmeisters Berndt von der Borch (1471-1483), dessen erbitterter Kampf um die Vorherrschaft in Livland, wobei er propagandistisch das Feindbild der „ungläubigen“ Russen bemühte, schließlich zu einer erheblichen Verschlechterung der russisch-livländischen Beziehungen führte. STEPHAN FLEMMIG (Jena) handelte über die „Wettinischen Eliten im Dienst der letzten beiden Hochmeister“ und veranschaulichte die persönlichen und politischen Netzwerke, die die „Emigration“ von zahlreichen hochgebildeten und erfahrenen Dienstmännern aus dem mitteldeutschen Raum nach Preußen bildete und die Beziehungen der Wettiner zum Deutschen Orden verstärkte. Im ihrem Beitrag „Handel und Verhandeln. Die außenpolitische Bedeutung der polnischen und ungarischen Reichsversammlungen“ thematisierte JULIA BURKHARDT (Heidelberg) die wachsende Bedeutung der spätmittelalterlichen Ständeversammlungen für außenpolitische Angelegenheiten; als Quelle zog sie auch politische Korrespondenz mit den Osmanen, dem Ordensstaat und der Moskauer Rus' heran. DARIUSZ WRÓBEL (Lublin) nahm „The Polish Magnates as the sovereign Subject of the Foreign Politics during the Interregnum and the Minority of Ruler (1382-1386, 1434-1438)“ in den Blick, wobei er die Rolle des Adels vor allem im Bemühen um die Union mit Litauen und um Friedenschluss mit dem Deutschen Orden herausarbeitete. UWE TRESP (Potsdam / Düsseldorf) widmete seinen Beitrag „Gewalt und Diplomatie. Böhmische Außenpolitik in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts“ der Außenpolitik von Georg von Podiebrad, der sich mit den Folgen der Hussitenzeit für die Stellung Böhmens zu seinen Nachbarn zu befassen hatte und versuchte, an die böhmische Machtposition der Zeit Karls IV. anzuknüpfen. Um diese Ziele im Sinne des böhmischen Adels zu erreichen, baute der König seine Beziehungen zum Heiligen Stuhl aus und stärkte seine militärische Präsenz gegenüber den Nachbarn; die Bereitstellung böhmischer Truppen für fremde Herrscher diente dem König wiederum als Instrument im diplomatischen Spiel.

Historiographische und quellenkundliche Aspekte bei der Frage nach den „Weltlichen und kirchlichen Vermittlern im Ringen um die angevinische Thronfolge in Polen (1335-1370)“ wurden von DÁNIEL BAGI (Pécs) vorgestellt, der versuchte, durch eine detaillierte Untersuchung der Verhandlungen um die Nachfolge Kasimirs III. die verschiedenen Interessengruppen zu konturieren. Um Brandenburg unter den Wittelsbachern und Luxemburgern (1323-1415), ging es im Beitrag „Privilegierte Außenpolitik? Ihre Träger und Instrumente unter den spätmittelalterlichen Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg“ von MARIO MÜLLER (Chemnitz); das Land wurde zum Spielball der fremden Herrscher, die jedoch die märkischen Landstände zur Beteiligung an den innen- und außenpolitischen Geschicken des Landes heranziehen und dadurch für eigene politische Ziele gewinnen konnten. Im eingehenden Referat über das Zusammenwirken der Könige von Polen und ihrer Räte in der Gestaltung der Beziehungen mit dem Deutschen Orden in den Jahren 1333-1454 zeichnete ADAM SZWEDA (Toruń) ein breites Tableau der Personen, die die königliche Außenpolitik formten. Im abschließenden Beitrag widmete sich PAUL SRODECKI (Gießen) einem besonderen Personenkreis, dessen Profil für die Außenpolitik der ostmitteleuropäischen Höfe bisher wenig Beachtung fand, den Humanisten im Dienst dynastischer Diplomatie. Er beleuchtete die Rolle einer Reihe italienischer Gelehrter, deren historisch-politische Konzeptionen seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in der Außenpolitik für propagandistische und legitimatorische Zwecke, vor allem von Kasimir IV. und Matthias Corvinus, eingesetzt wurden.

Die Ergebnisse der Referate und Diskussionen wurden von MARTIN KINTZINGER (Münster) in einem stringent-systematisierenden Tagungsresümee zusammengefasst, wobei er Tendenzen außenpolitischen Handelns im Spätmittelalter im allgemeinen, unterschiedliche Entwicklungsrichtungen und Profile der außenpolitisch Handelnden in West- und Osteuropa und Spezifika außenpolitischen Handelns im östlichen Mitteleuropa ansprach. Der weit gespannte regionale und thematische Rahmen der Referate bewirkte einen ausgesprochen lebhaften und intensiven wissenschaftlichen Austausch.

Konferenzübersicht:

Norbert Kersken (Marburg), Einführung in die Tagung

Dynastische Träger von Außenbeziehungen

Robert Antonín (Ostrava), Akteure und Mechanismen der Außenpolitik der letzten Přemysliden
Rimvydas Petrauskas (Vilnius), Die Außenwelt der Gediminiden: Formen und Möglichkeiten der internationalen Politik der heidnischen Grossfürsten Litauens in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
Rafał Simiński (Szczecin), Die Akteure der Außenpolitik des Herzogtums Pommerns im Spätmittelalter
Lenka Bobková (Praha), Die Verhandlungen in Trentschin und Visegrád zwischen Böhmen-Polen-Ordensstaat –Ungarn im Jahre 1335

Stände als Träger von Außenbeziehungen

Tetiana Grygorieva (Kyjiv), Poland and its Eastern Neighbours at the turn of the 16th century
Alexander Baranov (Berlin), Zwischen Bündnis und Konfrontation. Der livländische Ordensmeister Bernd von der Borch und der Großfürst Ivan III. von Moskau 1471-1483
Stephan Flemmig (Jena), Wettinische Eliten im Dienst der letzten beiden Hochmeister
Julia Burkhardt (Heidelberg), Die außenpolitische Bedeutung der polnischen und ungarischen Reichsversammlungen
Dariusz Wróbel (Lublin), The Polish Magnates as the sovereign Subject of the Foreign Politics during the Interregnum and the Minority of Ruler (1382-1386, 1434-1438)
Uwe Tresp (Potsdam – Düsseldorf), Gewalt und Diplomatie. Böhmische Außenpolitik in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts

Gelehrte, Vermittler und Berater

Dániel Bagi (Pécs), Weltliche und kirchliche Vermittler im Ringen um die angevinische Thronfolge in Polen (1335-1370)
Mario Müller (Chemnitz), Privilegierte Außenpolitik? Ihre Träger und Instrumente unter den spätmittelalterlichen Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg
Adam Szweda (Toruń), Der König von Polen und seine Räte in den Beziehungen mit dem Deutschen Orden in den Jahren 1333-1454
Paul Srodecki (Gießen), Humanisten als Träger dynastischer Diplomatie an ostmitteleuropäischen Höfen
Martin Kintzinger (Münster), Spätmittelalterliche Außenbeziehungen im Westen und Osten Europas – ein Tagungsresümee


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